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Enteignete Hardware

Neue Sicherheitstechnik soll Kopien jeder Art verhindern

Die Krawattis, so meinte kürzlich der zum Entsetzen vieler e-Business-People in die Internet-Administration "Icann" gewählte Andy Müller Maguhn vom Chaos Computer Club in Hamburg, die Kravattis hätten nie begriffen, was das Internet ist. Das mag schon sein. Vom Geschäft verstehen sie allemal was, und genug Geld, um sich "Nerds" zu kaufen, haben sie auch. Nerds sind Leute, die eine Krawatte nicht mal mit der Feuerzange anfassen würden, und das eine von ihren zwei T-Shirts tragen sie jeweils so lange, bis es von alleine steht. Aber vom Internet, Computern und anderen High-Tech-Installationen verstehen sie alles, und falls sie jemals schlafen, was unwahrscheinlich ist, träumen sie in C++.

Wenn Kravattis und Nerds sich auf Basis eins gemeinsamen Interesses an $$$ zusammentun, entstehen so bemerkenswerte Erfindungen wie der Digitale Videorecorder auf Festplattenbasis. Dafür braucht man keine lästigen Bandkasetten mehr, und auch keine DVDs. Ein Gerät zum Preis von 2000 Mark hat immerhin eine Aufnahmekapazität von 10-20 Stunden. Damit kann man tolle Dinge machen, z.B. einen Film um eine Viertelstunde zeitversetzt ansehen, während die Aufzeichnung noch läuft, und das in absoluter Spitzenqualität. So etwas gefällt dem Nerd.

Und wenn die 10-20 Stunden voll sind? Dann muß man die Platte eben aufräumen, also Filme wieder löschen. Das freut den Krawatti, denn ein Publikum, dessen Videoarchiv auf eine Kapazität von 10 - 15 Filmen begrenzt ist, kauft sicher mehr DVD-Videos als diese technisch zurückgebliebenen Kasettensammler, die ihre Reagle mit minderwertigen TV-Mitschnitten vollstopfen.

Das ist doch keine schlechte Übergangslösung bis zur Einführung des Digitalen Fernsehens. Spätestens 2010, so hat es die Bundesregierung beschlossen, werden die analogen Kanäle abgeschaltet. Die Signale des dann allein angebotenen Digitalen Fernsehens wird man auf Bänder überhaupt nicht mehr aufnehmen können und auf Digitalrecorder nur noch in dem Maße, indem die Inhaber der Senderechte das bei der Ausstrahlung zulassen. So bringt die Digitalisierung die Filmindustrie ihrem großen Ziel ein gutes Stück näher: Volle Kontrolle über die Wiedergabe "ihres" Contentes.

Dieses Ziel hat die Unterhaltungsindustrie natürlich nicht nur für Filme, sondern auch für Musikkonserven. Der Jubel der Musikfans über den freien Dateientausch auf Napster und das Wehgeschrei der 40-Milliarden $ Gewinn schweren Musikindustrie über die dadurch entgangenen Verluste hat übertönt, daß ihre Kontrollbestrebungen schon weit vorangekommen ist. Bei der speziellen Hardware für Musik sowieso. Player für Minidisk oder MP3 haben entweder keinen analogen Eingang oder keinen digitalen Ausgang - dadurch wird wirkungsvoll verhindert, daß die Aufnahmen sich in hoher Qualität weiterverbreiten lassen. Noch nicht einmal selbstgemachte Aufnahmen der eigenen Band.

Jetzt geht es, durch den Erfolg von Napster angestachelt, beschleunigt darum, auch die Verbreitung von Musik und Filmen über Computer und Netzwerke zu kontrollieren. Innerhalb weniger Jahre ist eine ganze Reihe von Initiativen und Techniken zustande gekommen - zusamengenommen bilden sie ein kleines Lexikon von four-letter-words (so nennt man in Amerika unanständige Ausdrücke):

AussenlinkCPRM - Content Protection for Removable Media.
Dieser unter anderem von Intel, Toshiba und IBM entwickelte Kopierschutz ist dem Namen und den Beteuerungen der Entwickler nach zwar nur für auswechselbare Datenträger vorgesehen. Sein aktueller Entwurf enthält jedoch auch die Spezifikationen für den ATA-Standard. ATA ist aber kein Standard für Wechselplatten, sondern für die ganz normalen Festplatten, wie sie heute überwiegend in PCS eingesetzt werden. Damit rückt die Möglichkeit in Reichweite, daß Computer sich in Zukunft weigern werden, Sound und Bild-Dateien zu speichern, die keine spezielle Freigabe-Signatur enthalten.

AussenlinkDMA - Digital Millenium Copyright Act
Dieses amerikanische Gesetz aus dem Jahr 1998 erklärt es - sehr gerafft dargestellt - für illegal, Informationen zu verbreiten, die zur Aufhebung eines Kopierschutzes dienen können. Unter Berufung auf dieses Gesetz hat die filmindustrie schon mehrmals die Schließung von Websites durchgesetzt, auf denen die DeCCS-Software angeboten wurde, mit der man den Kopierschutz von DVDs aufheben kann. Daraus entsteht folgende merkwürdige Situation: Das Gesetz erlaubt dem Käufer einer Bild- oder Tonkonserve, davon zum eigenen Gebrauch oder zur eigenen Bequemlichkeit Kopien anzufertigen. Aber er kann dieses Recht nicht mehr wahrnehmen.

AussenlinkEMMS - Electronic Media Management System
Dieses von IBM und Toshiba entwickelte System soll di Verwertung von Musik über das Internet "sicher" gestalten. Es bietet die Möglichkeit, Dateien bestimmte Restriktionen aufzuerlegen - etwa, wie oft sie abgespielt oder Kopiert werden kann, bevor das System die Datei zerstört. Es sind auch Regionalcodes vorgesehen, die die Verbreitungsgebiete bestimmen und so die Stretegien und Interessen der Distributoren in den einzelnen Ländern wahren.

AussenlinkHDCP - High-bandwidth Digital Copy Protection
Dieses von Intel und anderen bedeutenden Herstellern propagierte Verfahren ist besonders zukunftsweisend. Hier schiebt sich der Sicherheitsmechanismus zwischen das eigentliche Wiedergabegerät und den Bildschirm: Videosignale, die nicht von einem entsprechenden Freigabeschlüssel begleitet werden, können dann nur in herabgesetzter Qualität dargestellt werden. Das System steht in ständiger Verbindung mit seiner Zentrale, die den Schlüssel jederzeit für ungültig erklären kann. Es bildet die technische Grundlage für Einmal-Pay-perview.

AussenlinkSCMS - Serial Copying Management System
Bei diesem System kann bestimmt werden, wieviele Generation von Kopien angefertigt werden können. D. h. der Besitzer einer Original-CD kann u. U. beliebig viele Kopien anfertigen, die Kopien selbst sind jedoch nicht mehr kopierbar. Diese Technik soll regulärer Bestandteil künftiger Digital-Audio-CD-Systeme sein. Einer von mehreren Pferdefüßen wird darin bestehen, daß diese Geräte Cds, die keine SCMS-Information enthalten, nicht mehr abspielen werden. Davon sind aber nicht nur Raubkopien betroffen, sondern auch alle Produktionen außerhalb des professionelen Musikbetriebes.

Alle diese Techniken werden heute bereits eingesetzt bzw. stehen zum Einsatz bereit. Sie werden in den nächsten Generationen von Computern und wiedergabegeräten als "technische Verbesserung" oder als "Gewährleistung des Urheberschutzes" eingebaut werden. Abweichende Technologie wird - wie der DAT-Recorder - vom Markt verdrängt.

Der Musik- bzw. Filmindustrie bieten diese Verfahren die Möglichkeit, das Internet zum vollwertigen Vertriebskanal auszubauen, die Verluste durch Kopien und Dateientausch zu vermindern und nach globalen Marketingplänen zu bestimmen, wer wann wo was sehen oder hören darf bzw. soll. Dem Käufer nehmen sie einen Großteil der Rechte, die ihm nach geltendem Gesetz zustehen. Tatsächlich wird es - wenn die Rechnung aufgeht - kaum noch "Käufer" geben, sondern eher "Abonnenten" eines Programmes, die jedesmal zur Kasse gebeten, wenn sie eine der dort gebotenen Leistung in Anspruch nehmen. Endziel ist "pay per use": Jedesmal, wenn man einen Film sehen oder eine Musik hören will, ist ein neuer Eintrittspreis fällig.

Die neuen staatlichen Regelungen zum Urheberrecht und seiner Vergütung, über die derzeit in der Europäischen Union heftig diskutiert wird, sind unter diesen Bedingen völlig ohne Bedeutung: Das zukünftige Recht wird von den Krawattis der Musik- und DV-Industrie global gemacht und von ihren Nerds in die Hardware eingebaut. Basta.Zum Seitenanfang

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Anmerkung

Anmerkung Dieser lange Text ist natürlich keine Netgeschichte. Aber da er zum Thema gehört und ebenfalls in der FR erschienen ist, passt er hier ganz gut hin.



Originalton Sony:

Steve Heckler, Senior Vice President von Sony Pictures Entertainment, auf einer Konferenz vor Lehrern und Erziehern in Long Beach im August 2000:

"Die (Musik)Industrie wird alles tun, um sich und ihre Gewinnquellen zu schützen. Wir werden diese Quellen nicht aufgeben, was auch immer geschieht. ...

Wir werden dabei aggressiv vorgehen. Wir werden Technologie einsezen, die weit über den einzelnen Anwender hinausgreift. Wir werden Napster an der Quelle blockieren. Wir werden Napster bei Ihrer Kabelgesellschaft blockieren. Wir werden ihn bei der Telefongesellschaft blockieren, wir werden ihn bei Ihrem Provider blockieren. Wir werden ihn auf Ihrem PCblockieren."