Dieser Tage war in meiner E-Mail Post von Helmut Kohl. "Lieber Michael", begann das Schreiben in vertraulichem Ton, um sich alsbald in die Erörterung der Vor- und Nachteile verschiedener Zubereitungsarten von Saumagen zu vertiefen. Nun gehört die Pfälzer Küche nicht gerade zu den kulinarischen Gebieten, auf denen ich mich besonders kompetent fühle, und meine Bekanntschaft mit dem Bundeskanzler ist eher einseitiger Natur: Während ich den Herrn des öfteren am TV-Bildschirm in Augenschein nehme, gehört er wohl kaum zu den regelmässige Lesern meiner Artikel über moderne Kommunikationstechnik.
Allerdings war die Absenderangabe h.kohl kanzleramt, bonn.de irgendwie wenig vertrauenerweckend - die Bonner e-mail-Adressen sehen anders aus. Ausserdem hatte eine Gruppe von Göttinger Onlinern, die sich intensiv mit Fragen der Datensicherheit auf den Infonetzen beschäftigt, ein paar Tage vorher telefonisch eine Überraschung angekündigt. Und wirklich: In der nächsten Mail, diesmal kam sie von r.suessmuth bundeshaus.bonn.de, gaben die Absender sich zu erkennen: "Wir wollten Ihnen nur einmal zeigen, wie leicht das ist, im Internet unter falscher Flagge zu segeln."
Auch wenn das eine ziemlich beunruhigende Vorstellung ist: Offensichtlich kann man sich nicht so ohne weiteres darauf verlassen, dass eine E-Mail aus dem Internet tatsächlich von demjenigen stammt, dessen Name und Kennung in der Absenderangabe stehen. Im konkreten Fall hatten sich die Hacker eine Schwachstelle zunutze gemacht, die jedem, der sich auch nur ein bisschen intensiver mit der Funktionsweise des Netzes befasst hat, offensteht. In den letzten Monaten sind an diversen öffentlichen Bibliotheken in aller Eile Personalcomputer mit Internetzugang installiert worden, und während der reguläre Inhaber eines Internetzuganges, der über seine Firma oder einen Provider am Netz hängt, nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Manipulation seiner Zugangsdaten hat, sind ausgerechnet einige dieser öffentlichen Zugänge nicht ausreichend gegen Missbrauch abgesichert.
Den Göttingen war es sogar gelungen, den Standort des Rechners zu verschleiern, von dem aus sie ihre Mail abgesetzt hatten. Hätten Sie ernsthaft versucht, als h.kohl bundeskanzleramt.bonn.de Unfug anzurichten oder etwa unter meinem Namen bei einem der über das Net tätigen Versandhändler eine größere Bestellung aufzugeben - man wäre ihnen nie auf die Schliche gekommen. Und der Betreiber des öffentlichen Internetzugangs, den die Gruppe von der Sicherheitslücke in seinem System umgehend informierte, reagierte darauf so phlegmatisch, dass das kaum auf ein angemessenes Sicherheitsbewusstsein schliessen lässt.
Falls also demnächst h.kohl kanzleramt.bonn.de oder j.rau staatskanzl.dudf. de per E-Mail bei Ihnen anfragen, ob Sie nicht in sein Kabinett eintreten wollen - kündigen Sie nicht gleich Ihren Job!
Hinter Titelblatt und Impressum, wo andere Romane - vielleicht - ein Inhaltsverzeichnis haben, zeigt Norman Ohlers Roman "Die Quotenmaschine" nur eine Kartenskizze der Südspitze von Manhattan, dazu noch ein Stück von Hoboken im Westen und von Brooklyn im Osten. Es ist eine sehr leere Manhattan-Karte: Ein Haus; zwei, drei Straßen, einige U-Bahn-Tunnel und der im Mastab viel zu groß eingezeichnete Tompkins Square Park. Rundum verstreut merkwürdige kleine Rechtecke mit einer umgeschlagenen Ecke, wie man sie als Icons von Textverarbeitungen kennt.
Das hat seine Logik: Die "Quotenmaschine" ist der erste deutsche
Roman auf dem Internet
(http://www.is-berlin.de/Culture/Q-machine), seine Seiten sind nur auf dem
Bildschirm zu lesen, und jedes der icons steht für ein Kapitel des
Romans und in etwa auch für den Ort, an dem dieses Kapitel spielt.
Eine festgelegte Reihenfolge für die Lektüre gibt es nicht, wer
ein Icon mit der Maus anklickt ist auch schon mittendrin in der Geschichte
vom stummen Detektiv Maxx Rutenberg, und der Aufklärung eines Mordes,
den er selbst in einer früheren Existenz begangen hat...
Die Hypertext-Technik des World-Wide-Web befreit nicht nur die Kapitel der "Quotenmaschine" von jeder festen Reihenfolge, sie löst auch den Text der Kapitel selbst in ein Netz lockerer Zusammenhänge auf. Immer wieder sind sind einzelne Worte als "Hyperlinks" hervorgehoben, an denen die Leser per Mausklick zu anderen Handlungssträngen oder anderen Schauplätzen verzweigen können. Wer will, kann die Eigenaktivität noch weiter treiben und ein eigenes Kapitel beisteuern. Auf dem deutschen Internet ist Ohlers Roman bis jetzt noch eine Ausnahmeerscheinung. In den USA ist Literatur online dagegen durchaus keine Seltenheit. Hauptmedium des Literaturbetriebes auf dem Net waren in der Vergangenheit - die reicht in diesem Fall etwa von 1992 bis 1994 - die sogenannten e-zines, electronic magazines, von denen es weltweit über 500 Titel gibt (http://www.meer.net/johnl/e-zine-list) Vielleicht die Hälfte davon beschäftigt sich mit Literatur im weiteren Sinne, überwiegend mit Science fiction und Fantasy. Es gibt aber auch diverse Titel, die den Anspruch erheben, vollwertige Literaturzeitschriften zu sein - bloß daß sie nicht auf Papier, sondern über Datenleitung ins Haus kommen.
Mit dem Siegeszug des WorldWideWeb sind in den USA eine ganze Reihe sogenannter
literary web-sites entstanden. Sie heiáen "Dark Side of the
Angel Gabriel"(http://pages.prodigy
.com/NY/gpfx73b/index.html), "Jaimes Alsop's Poetry and Literature
Page (http://www.hook.ed.net/users/jalsop/) oder "Flaming Jewels"
(http://www.prairienet.org/~jjewels/jewel/html) und präsentieren mit
modernster Technik oft erstaunlich konventionelle Gedichte und Stories.
Man könnte sie ohne weiteres zwischen Buchdeckel binden - wenn sie
bloß einen Verleger fänden.
Nicht zwischen Buchdeckel passen dagegen die "Dynadichte" des Kölner Autors Olaf Koch, die erst auf einem Bildschirm zum Leben erwachen. Unter seiner Web-Seite (htt p://www.well.com/user/olafkoch/) findet sich aber auch das druckbare und vergnügliche:
liebe mouse.com her zu mir
da ich doch so.bat nach dir.
read.me, read.me, readme.1st
oder dir mich auf papier
und entpuppst du dich als h.exe
schatz, sei sicher daß dann sta.sys walte.
Nein, den Weihnachtsstern habe ich auf den vielen X-Mas-Seiten des WorldWideWeb (Einstieg:http://www.christmas.com) nicht gefunden, und auch die neuen Nahaufnahmen der Raumsonde Galileo vom Jupiter sind über das Internet nicht zu bekommen. Wegen der bekannten Probleme mit der Antenne wird es noch Wochen dauern, bis die ersten Bilder bei der Erdstation ankommen.
Trotzdem lohnt es sich, auch schon vorher einmal auf den Server des Jet-Propulsion-Laboratory in Pasadena (http://www.jpl.nasa.gov/galileo) zu gehen und sich anzuschauen, was Galileo bisher zurückgefunkt hat. Neben spektakulären Bildern vom Vorbeiflug an der Venus und am Asteroidengürtel finden sich da auch die Aufnahmen vom Anflug auf den Jupiter, die den Wissenschaftlern bereits zahlreiche neue Einsichten vermittelt haben.
Aber es gibt noch mehr als Bilder. Die Galileo-Homepage unterrichtet stets über den aktuellen Stand des Projektes und wie es bis dahin gekommen ist, über Pressekonferenzen der Projektleitung und Veröffentlichungen der beteiligten Wissenschaftler. Das Angebot ist so umfangreich, daß es durch eine eigene Suchmaschine erschlossen wird. Und wer wei, was er damit anfangen soll, kann sich auch Dateien mit langen Zahlenkolonnen herunterlade, die anscheinend Meßwerte oder Bilder im Rohzustand enthalten.
Spätestens hier ist eine Warnung angebracht: Die Galileo-Seite gehört zu den beliebtesten Anlaufstellen des World-Wide-Web; sie wurde seit dem 18. Januar dieses Jahres fast 3,5 Millionen mal besucht. Wer bei dem Gedränge zum Zuge kommen will, tut gut daran, es vormittags zu versuchen, wenn die amerikanischen Netsurfer schlafen.
Außerdem gibt es natürlich auch noch eine ganze Reihe andere interessante Astronomie-Sites, die allerdings kaum weniger überlaufen sind. Zum Beispiel die Seite "HST Greatest Hits 1990 -95" am Space Telescope Science Institute (http://www.stsci.edu/pubinfo /BestOfHST95.html), die keine Schlagerparade bereithält, sondern die schönsten Bilder des Hubble Weltraumobservartoriums. Hier finden sich unter anderem die Aufnahmen vom Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy auf dem Jupiter, von einer Kollision zweier Galaxien vor drei Milliarden Jahren ganz weit dort draußen und vom trichterförmigen Materiering um ein Irgendetwas, das nach Ansicht der Sachkundigen nur ein Schwarzes Loch sein kann. Auch hier werden neben den Bildern Fachinformationen und Unterrichtsmaterialien in beeindruckendem Umfang angeboten.
Einen Besuch lohnt auch der Server des National Center for Supercomputing Applications (NCSA). Dort arbeiten Informatiker und Astronomen zusammen, um Bilder von Vorgängen, die weder Hubble noch Galileo beobachten konnten, durch Computersimulation zu erzeugen. Im kommenden April wird im National Air- and Space-Museum die Premiere des Films "The Cosmic Voyage" stattfinden, der die Geschichte des Univesums von der Gegenwart bis zurück zum Urknall in Computeranimationen darstellt. Beeindruckende Proben sind schon heute auf http://www.ncsa.uiuc.edu zu besichtigen.
Der Sternenraum scheint den Amerikanern zu gehören - auch im WWW. Es gibt zwar auch einen Server der Europäischen Raumagentur ESA (http://www.esrin.esa.it/). Aber man findet ihn noch am leichtesten von den amerikanischen Informationsangeboten aus, und sein Angebot ist so unattraktiv, daß man ihn auch gerne in dieser Richtung wieder verläßt.
Das ist der Fluch der großen Zahl: Auf den etwa 30 000 Servern des WorldWideWeb und den 15 000 Diskussionsgruppen des Usenet liegen Informationen über fast alles, was es auf dieser Welt an Wissenswertem - und auch weniger wissenswertem - gibt. Aber keiner weiß, was wo liegt - längst übersteigt die Informationsflut jedes Menschenmaß.
Auch für die Nutzer von Suchmaschinen wie http://www.yahoo.com oder http://webcrawler.com ist es reine Glücksache, das Richtige zu finden: Alles hängt von den Titeln ab, die die Verfasser von Web-Dokumenten ihren Seiten geben, und selbst die beste Überschrift kann nie den ganzen Inhalt einfangen. Am 15. Dezember letzten Jahres ist hier eine Veränderung eingetreten, die so phantastisch ist, daß das ganze Ausmaß der Möglichkeiten noch gar nicht abzuschätzen ist http://altavista.digital.com ist die Adresse einer neuen Suchmaschine, die den Informationsbestand auf dem Netz nicht wie bisher nach Kategorien einteilt oder auf Stichworte in den Dokumenttiteln durchsucht, sondern die jedes bedeutungstragende Wort in jedem einzelnen Dokument erfaßt hat.
Aktuell sind das allein auf dem Web 8 Milliarden Worte auf 16 Millionen Dokumenten. Hinzu kommen ein paar Millionen Messages aus den Newsgruppen. Wer begründete Hoffnungen hat, auf dem Web vertreten zu sein, kann ja mal die Probe aufs Exempel machen und seinen Namen eingeben.
Bei mir ergab die Probe neun Treffer, darunter zwei FR-Artikel, die Leser auf ihren Web-Seiten "nachveröffentlicht" haben, einen Vortrag von Hilmar Hoffmann, der eine "Netgeschichte" zitierte und einen mir bislang unbekannten Jean-Michael Charlier, der irgendetwas mit Comics zu tun hat. Alle Verweise sind Hyperlinks: Anklicken genügt, schon wird das Dokument geladen.
Eine weitere Abfrage, diesmal auf die Stichworte "Nicholas Negroponte", "intelligent agent" und "retrieval" erbrachte nicht nur eine Reihe anregender Artikel, deren Verfasser sich mit den entsprechenden Thesen des Informatik-Gurus befassen, sondern führte auch zu einem digitalen Teilabdruck seines neuesten Buches "Being Digital". Und das beste: Die Durchsuchung der 16 Millionen Dokumente dauert je nach Form der Fragestellung zwischen 5 und 15 Sekunden, und sie ist kostenlos - vorläufig zumindest.
Der Grund liegt auf der Hand: Entwickler und Be treiber von Altavista ist, wie die Web-Adresse schon andeutet, der Computerbauer Digital, der mit der phantastischen Installation (sie läuft auf 5 Maschinen im handelüblichen Towerformat) das Leistungsvermögen seiner neuen Workstations mit 64-Bit-Alpha-Prozessoren demonstrieren will.
Und da ihm das auf so beeindruckende Weise gelungen ist, geht die Rechnung seiner Marketingstrategen auch an dieser Stelle wieder einmal auf.
"Das verstößt gegen die Netiquette" heißt es in Online-Kreisen, wenn sich jemand im virtuellen Raum so richtig daneben benommen hat. Doch wenn Netiquette auch noch so nett und aldmodisch an Etikette, die Kunst des fei-nen Benehmens bei Hofe, erinnert, ist an Höflichkeit dabei zuletzt gedacht: Die Netiquette regeln vor allem den Umgang mit den knappen Ressourcen des Internet.
Einen Verstoß gegen die Netiquette begeht beispielsweise, wer von Deutschland aus abends um 10 ellenlange Dateien von einem amerikani-schen Server lädt - denn dort ist der Arbeitstag noch voll im Gang, und der Rechner wird für andere Zwecke benötigt. Gegen die Netikette ist es auch, ein und dieselbe Anfrage nach dem Schrotschußverfahren in Dutzende von Diskussionsgruppen zu plazieren, wo sie auf vielen Rechnern Kapazitäten belegt und auch von Leuten geladen wird, die an diesem Thema kein Inter-esse haben.
Am schlimmsten aber ist die ungezielte Werbung, die regional oder landes-weit allen Netzteilnehmern Werbebriefe in ihr elektronisches Postfach legt. Sollte dieses Verfahren Schule machen, muß man damit rechnen, bald die drei oder vier e-mails, die am Tag einlaufen, aus hunderten von elektronischen Werbebriefen heraussuchen zu müssen.
Ansonsten geht es in den Netzen eher ruppig zu, und das nicht nur deshalb, weil nach angelsächsischer Sitte jeder jeden duzt. Besonders in den amerikanischen Gruppen gedeiht das "flaming", das scheinbar ungezügelte Beschimpfen von Leuten, deren Meinung einem mißfällt. Flaming kann sich gelegentlich zu langanhaltenden elektronischen Fehden auswachsen, die, entsprechende Wortgewalt der Teilnehmer vorausgesetzt, Zuschauer bzw. Mitleser von allen Kontinenten anziehen, die mit Anfeuerungsrufen für ihre Favoriten nicht sparen. Das sportliche Element ist unübersehbar.
In den deutschen Abteilungen des Cyberspace sind derlei flaming wars eher selten. Das auch hier reichlich vorhandene Aggressionspotential läßt viel-mehr den Typ des gemeinen humorlosen Rechthabers gedeihen. Der nervt dann eine Gesprächsrunde ständig mit dem Verlangen, dieser oder jener Teilnehmer möge seine Ansicht von gestern aber jetzt bitte sofort "beweisen", oder "beweist" selbst in langatmigen Ausführungen klipp und klar, daß ein Teilnehmer in Wirklichkeit etwas ganz anderes gemeint als ge-schrieben habe. Da drängt so manches unterdrückte schulmeisterliche Talent ans Licht - oder ein kleiner Großinquisitor, der sein Jahrhundert verfehlt hat.
Doch während man im wirklichen Leben diesen Nervensägen wehrlos aus-geliefert ist, kann man ihnen im Cyberspace leicht entkommen. Viele Kommunikationsprogramme für Internet und Online-Dienste haben einen "twit filter", das kann man mit "Laberfilter" übersetzen. Wenn man sich oft genug über das Geschreibe eines bestimmten Absenders geärgert hat, nimmt man ihn in die Liste unerwünschter Personen auf - das geht mit einem einzigen Mausklick. Den Mund verbieten kann man dem Störenfried damit nicht - aber was er in Zukunft auch immer schreiben mag, auf meinem Bildschirm wird nichts davon ankommen.
Java - das steht in den USA für Kaffee, und zwar nicht für die dünne Brühe, die es zum Hotelfrühstück umsonst gibt, sondern für den schweren schwarzen Stoff, mit dem sich die Programmierer munter halten, wenn andere schon längst auf dem Ohr liegen. Hot Java ist zum einen die dampfend heiáe und besonders magenunfreundliche Ausführung des Wachmachers - und zum anderen das Kennwort für eine neue Epoche des Informationszeitalters.
Das behauptet zumindest der amerikanische Workstationbauer "SUN", der die Internet-Programmiersprache "Java" entwickelt hat und mit "HotJava" eine Zugangssoftware bereithält (http://www.sun.com), mit der man die Kunststücke bewundern kann, die Java ermöglicht. Die neueste Version des Netscape Navigator (http://www.netscape.com) kann es auch, zumindest teilweise, und so gut wie alle anderen Anbieter von Net-Software arbeiten ebenfalls fleiáig daran, sich für "Java" fit zu machen. Selbst IBM und Microsoft haben Lizenzen erworben, um nicht ins Hintertreffen zu geraten
Was die Netz-Welt an der neuen Technik so fasziniert, ist ihre Fähigkeit zur Arbeit mit "Applets" - das sind kleine Programme, die ein Informationsanbieter gleich zusammen mit seinen Daten über das Net zugänglich macht. Diese Applets laden sich selbsttätig imme r dann, wenn sie sich nützlich machen können. Dann stellen sie Zahlenwerte in Form animierter Grafiken dar, unterstützen als "intelligent agents" den Anwender bei der Auswahl der ihn interessierenden Daten, vermitteln Zugriffe auf Informationen auf anderen Servern und tun überhaupt fast alles, wozu die Phantasie des Programmierers ausreicht. Besonders schöne Muster gibt es auf der SUN-Homepage oder unter web.hudsonet.com/~doug/index.html und bei http://tech-www.informatik.uni-hamburg.de/applets/index.html. Sie reichen von interaktiven Spielen über eine Einführung in die Grundschritte des Wiener Walzers bis zu einer Demonstration der Arbeitsweise von CMOS-Gattern.
Die Java-Applets machen es möglich, Daten und Programmfunktionen nahezu beliebig über Netzwerke jeder Art zu verteilen. Dabei ist es ihnen völlig gleichgültig, auf welchem Rechner und unter welchem Betriebssystem sie laufen - solange sie eine geeignete Basis-Software vorfinden. Für zeitkritische Aktivitäten (etwa bei der Grafik) stützen sich die Applets auf die Funktionen des Betriebssystems. Ihre Daten beziehen sie dagegen vom heimatlichen Server, und weil sie sich dort bestens auskennen, fällt es ihnen leicht, immer die richtigen Bits und Bytes herbeizuschaffen. Deshalb funktioniert Java schneller, als man der notorisch lahmen Technik des Internet zutrauen möchte - wenigstens, wenn man eine gute Leitung erwischt hat. Für intensiven Einsatz sind die aktuellen Übertragungsleistungen noch ungenügend.
Dennoch träumen die Software-Designer bereits davon, abendfüllende Unterhaltungsangebote in Java zu programmieren, und ihre Kollegen von der Bürosoftware liebäugeln mit der Vorstellung, ihre dicken Programmpakete in Sammlungen von Applets aufzulösen, die der Anwender als "Software on Demand" direkt vom Hersteller bezieht - bei dreifach mitlaufenden Gebührenzählern, versteht sich: einer für die Telekom, einer für den Net-Provider, und einer für den Programmanbieter. Irgendjemand muß den vielen Kaffee für die Programmierer schließlich bezahlen.
Schon für 20 oder 30 Mark im Monat kann jedermann sich eine recht ausgedehnte Präsenz auf dem WorldWideWeb leisten, mit Texten, Bildern und vielen Verweisen zu den Angeboten von Gleichgesinnten. Auf dem Web sind auch die zu sehen, die man sonst nicht sehen kann, und die zu hören, die sonst keine Stimme haben - und das weltweit.
Zu den ersten, die das herausgefunden haben, gehören die Indianer
Nordamerikas. Kein Wunder, denn so manche Rothaut, die da im malerischen
Dress vor dem Wigwam im Reservat sitzt und Souvernirs verkauft, tut das
nur in den Semesterferien und studiert ansonsten Informatik auf einer nicht
allzuweit entfernten Universität.
Allzuviele sind es aber noch nicht.Trotz der Geschichten über den märchenhaften
Geldsegen, den einige Stämme mit den in USA sonst streng kontrollierten
Spielbanken einfahren sollen, herrscht in den meisten Reservaten die Armut.
Die Hopi in Arizona (http://www.infomagic.com
/~abyte/hopi.html) haben deshalb ein computer recycling project initiiert,
in dem nach dem Muster aus zwei mach eins ausrangierte Rechner soweit aufgemöbelt
werden, daß auch die Hopi-Schulen mit halbwegs brauchbarer Technik
ausgestattet werden können. Denn der Wigwam, das sollte man nie vergessen,
ist für die Touristen, und die Häuser der Reservatsbewohner sind
zwar oft genug schäbig, aber selten ohne Strom und Telefonanschluß.
Und weil das so ist, trifft man heute all die Völker im Internet,
die man sonst bestenfalls aus Karl May kennt: The Cherokee Nation, The Mohawk
Nation, The Great Sioux Nation, die Northern Crees aus Quebec und die Six
Nations of the Iroquois. Einen guten Überblick bietet http://web.maxwell.syr.edu/nativeweb/culture
/culturemain.html, wo mhr als 30 Links zu Webangeboten von Indianerstämmen
aufgelistet sind. Einige davon bieten kaum mehr als eine Verlängerung
des Souvenirstandes aus dem Reservat, andere erweisen sich als wahre Schatzhäuser,
in denen aufbewahrt und ausgestellt wird, was an Mythen und Gebräuchen,
Dichtung und Bildender Kunst vom Aussterben bedroht ist.
Nach den nordamerikanischen Indianern beginnen auch andere Völker
ohne Staat, die Möglichkeiten des Web zu nutzen. Die Maya Mexicos und
Guatemalas sind mit mehreren Web-Sites vertreten. Einige zeigen nur die
bekannten Postkartenmotive von Tempelruinen, andere wie http://www.ala.doc.ic.ac.uk/~rap/Ethnologue
/wgt.cgi/Mayan/ bieten dem, der es ganz genau wissen will, detailierte Auskunft
über die Verwandschaftsverhältnisse der zahlreichen Mayasprachen.
Ganz in der Nähe finden sich übrigens die "Zapatistas in
Cyberspace" (http://www.indians.org/welker/zapatist.htm) - ein Verzeichnis
aller Internet-Quellen über die Revolutionäre von Chiapas.
Aus dem arktischen Alaska ist das Eskimo-Volk der Inupiat mit einem sehr
informativen Angebot (http:// www.lib.uconn.edu/ArcticCircle/CulturalViability
/Inupiat/) im Web vertreten - zusammen mit ihren entfernten Verwandten,
den Nenets und Khanty (http:// www.lib.uconn.edu/ArcticCircle/CulturalViability
/nenets.html) von der Yamal-Halbinsel im nordwestlichen Sibirien. Auch die
Minderheit der Samen aus Finnland und Norwegen präsentiert sich auf
dem Web (http://www.itv.se/boreale/samieng.htm).
Bloß die Saterfriesen aus den Moodörfernr zwischen Oldenburg und Emden waren nirgendwo zu finden.
Das Internet ist unregierbar und unbeherrschbar. Kein Wunder, daß es den Regierungen unheimlich ist und sie nach Mitteln suchen, den neuen Kontinent zu unterwerfen. Offene Zensurversuche, wie etwa der Erlaß des "Communications Decency Act" [http://netserv.lib.odu.edu/blueribbon.html] in den USA nehmen zu.
Um das Netz kontrollieren und zensieren zu können, muß man freilich zuerst wissen, was da im einzelnen über die Leitungen geht. Bei Klartexten ist das kein Problem: Automatische Scanner lassen sich an geeigneten Stellen in den Datenstrom einklinken und zeichnen alles auf, was bestimmte Reizworte enthält.
Aber wer, der etwas zu verbergen hat, verwendet schon Klartext. Moderne Verschlüsselungstechniken wie Phil Zimmermans PGP [http://www.uark.edu/depts /comminfo /www/privacy.html] arbeiten mit nachgerade beliebig einstellbarem Schwierigkeitsgrad, und wer einen 64-Bit-Schlüssel verwendet, kann davon ausgehen, daß alle Rechner dieser Welt viele Jahre lang damit zu tun hätten, den Schlüssel zu knacken.
Die US-Regierung hat deshalb lange versucht, den PGP-Code der Exportkontrolle für Rüstungsgüter zu unterwerfen, natürlich erfolglos. Heute kann ihn jeder unter [http://www.ifi.uio.no/~staalesc/PGP/] downloaden, zum großen Mißvergnügen aller Sicherheitsdienste. In Frankreich ist es denn auch bereits verboten, verschlüsselte Nachrichten zu versenden, in Deutschland wird seit einem Jahr über ein entsprechendes Verbot nachgedacht [http://www.thur.de/ulf/krypto/bt13-1889.html], und erst kürzlich hat sich auch der Europarat dafür ausgesprochen.
Theoretisch sind Nachrichten, die mit PGP oder vergleichbaren kryptografischen Methoden verschlüsselt sind, auf den Netzen leicht erkennbar und könnten durch entsprechend programmierte Scanner ausfindig gemacht werden. Praktisch gibt es Formen der Verschlüsselung, die gänzlich unerkennbar sind. Eines der am leichtesten realisierbaren ist die Steganografie [http://www.thur.de/ulf/stegano/]. Das Verfahren läuft darauf hinaus, eine geheime Mitteilung so in einem unverdächtigen Datenstrom zu verstecken, daß noch nicht einmal ihre Existenz zu ahnen ist. In einem Bild von Postkartengröße lassen sich verschlüsselte oder unverschlüsselte Textinformationen dem Datenstrom der Bilddatei so überlagern, daß selbst ein scharfes Auge keinen Unterschied zwischen dem normalen und dem manipulierten Bild erkennt - doch eine geeignete Software holt im handumdrehen geheimen Text im Umfang von vier Schreibmaschinenseiten heraus. Die dazu benötigte Software gibt es übrigens unter [http://www.iupui.edu/~emilbran/stego.html] kostenlos.
Wer gar nichts hat, mit dem er ungebetenen Mitleser überlisten müßte, kann sie aber auch mit geringem Aufwand bloß ärgern: Immer öfter liest man unter ganz normalen e-mails Signaturen wie: "Schönen Gruß an alle Lauscher. Meine Schlüsselworte der Woche sind Heroin, Plutonium, RAF und Volksbefreiungsarmee". Da bekommen die Scanner ordentlich zu tun.
Die Chancen der Regierungen, das Net zu kontrollieren, scheinen nicht allzu gut zu stehen.
Seit Anfang Juni ist nun auch der Bundespräsident auf dem Net (http://www.bundespraesident.de). Und als einziges Staatsoberhaupt im Cyberspace kann er seine virtuellen Besucher gleich durch zwei Dienstsitze führen: Die Villa Hammerschmidt in Bonn und das Schloß Bellevue in Berlin. Geschmackvoll geht es zu bei Präsidentens: Am Rhein wie an der Spree gepflegtes Biedermeier, hier und da mit einem kleinen Schuá Empire, und in B elin auf besonderen Wunsch der Denkmalpflege auch noch zwei Räume im Originaloutfit der ersten Wiederaufbauphase der frühen 50er Jahre. Was waren wir damals alle noch bescheiden.
Und wie sorgfältig die Truppe von der Öffentlichkeitsarbeit auch sonst alles bedacht hat! Zwei Dienstsitze, das heißt auch, zwei Fo tos von zwei Arbeitszimmern, doch gleich ist nicht gleich: Das in Bon n ist mit einem würdig dreinblickenden Roman Herzog ausgestattet, im Berliner Gegenstück kann man nur den leeren Schreibtisch besichtigen. Ob sich das nach dem offiziellen Umzug ändert?
Alles in allem ist das Web-Angebot unverkennbar im Stil eines Unterrrichtsmaterials für Staatsbürgerkunde aufgezogen - nicht mitreißend, aber solide. Das Formular, auf dem Bürger ihrem Präsiden ten eine e-mail schreiben können, ist vielleicht ein bißchen versteckt, dafür ist die Seite, auf der die vom Bundespräsidenten verliehenen Orden vorgestellt werden, ganz besonders liebevoll ausgestattet.
Von liebevoller Ausstattung kann man dagegen ganz und gar nicht sprechen, wenn es um eine Web-Seite geht, die auf den ersten Blick so aussieht, als wäre sie die des Buckingham-Palastes. Das große Staatswappen, ein eindrucksvolles Photo des Palastes und Links mit Bezeichnungen wie "Die königlichen Stallungen" und "öffentlich zugängliche Staatsgemächer" wecken Erwartungen, die (http://www.u-net.com/hotelnet /palace/home.htm) keinesfalls erfüllt. Die von einer Organisation des Gaststättenverbandes eingerichtete Seite enthält wenig mehr an Information als die Öffnungszeiten und Eintrittspreise der genannten Lokalitäten - schlechtes Netvertizing.
Eine positive Überraschung bietet nach dieser Erfahrung ein Angebot des französischen Fernsehens: Was da unter der nicht mehr ganz aktuellen Überschrift "Die Präsidentschaftswahlen 1995" zusammengetragen wurde, vermittelt einen umfassenden Überblick über die verfassungsmäáige Rolle des Präsidenten der Republik, über die bisherigen Inhaber dieses Amtes und über den Modus der Wahl. (http://www.sv.vtcom.fr/ftv/pres/ely /vitiz/vitiz.e.html) Und natürlich fehl t auch nicht ein ausführlicher Rundgang durch den Elysée-Palast, Amtssitz der Präsidenten seit 1873. Und auch damals schon eher unbescheiden.
Aber auch die Franzosen erreichen nicht das Vorbild aller digitalen Residenzen, die Homepage des Weißen Hauses in Washington (http://www.whitehouse.gov). Die Amerikaner haben nicht nur ihr staatsbürgerliches Informationsangebot in den letzten Monaten zu beneidenswertem Umfang ausgebaut. Sie haben jetzt auch eine Abteilung "Das weiße Haus für Kinder" eingerichtet, in der ein flott gezeichneter Kater Socks jugendliche Besucher in die Geschichte des Weißen Hauses sowie die Funktion der Präsidentschaft einführt. Weitere Themen dort: "Haustiere im Weißen Haus" und "Ein Brief an den Präsidenten".
Besonderer Gag des digitalen Weißen Hauses ist die Begrüßungsformel auf der ersten Seite, die mit "guten Morgen" oder "Guten Mittag" stets die richte Tageszeit ansagt, begleitet von einem Bild des Weißen Hauses mal im schwachen Morgenlicht, dann in der grellen Mittagssonne oder auch zu rabenschwarzer Nacht. Das allein schon ist einen Besuch wert.
Die Netgeschichten laden dazu ein, Anekdoten und Kuriositäten aus dem World Wide Web zusammenzutragen, und das zu recht, denn Merkwürdigkeiten gibt es mehr als genug in diesem neuen Medium, in dem jedes Interesse sich artikulieren kann und jedes Informationsbedürfnis bedient wird.
Dabei gerät leicht aus dem Blickfeld, daß der allergrößte Teil dessen, was über das Internet transportiert wird, aus harten wissenschaftlichen und kommerziellen Informationen besteht. Auch wenn sich Bunt und Pop in der letzten Zeit mächtig in den Vordergrund drängen, die Klage, daß deshalb das Net seinen Charakter als Informationsmedium verliere, ist nicht berechtigt.
Ein Beispiel. Goldhagens Buch über Hitlers willige Vollstrecker erregt in Deutschland die Gemüter. Einen ersten Überblick zur Debatte vermittelt das Archiv von http://www.germany-live.de. An der Staatsuniversität von Massachusetts, einem Zentrum historischer Befassung mit der deutschen Geschichte in den USA, ist eine eigene Seite zum Thema eingerichtet http://h-net2.msu.edu/german/discuss/goldhagen/, die Links zu einigen der wichtigsten Dokumente der Diskussion anbietet - weltweit. Allerdings: Einige der großen Rezensionen aus den führenden US-Zeitungen fehlen - möglicherweise werden sie von den Verlagen nur gegen Bares abgegeben. Dafür findet man hier aber Stellungnahmen von Wissenschaftlern, die besondere Sachkompetenz mitbringen.
Die Suche auf http:/ /altavista.digital. com führt dann noch zu einer Reihe von Newsgruppen, die sich mit dem Thema befassen. Und während der Beitrag aus dem Nepal Digest in soc.culture.nepal hierzulande eher abseitig erscheinen mag, enthalten cl.geschichte.allgemein und de.soc.politik unter anderem den kompletten Text der in der FR dokumentierten Artikel von Markovits und Loewy - als Privatinitiative. Eine knappe Stunde Recherche am Bildschirm erbrachte an die zwanzig Texte unterschiedlicher, aber größtenteils hoher Qualität zu einem Thema, das viel zu aktuell ist, als daß Bibliotheken schon viel dazu zu sagen hätten. Man ahnt, was Informationsgesellschaft bedeuten könnte.
Zum Abschluß ein doppelter Vorbehalt. Der erste: Die Auswahl der Informationen, die ihren Weg auf das Net finden, ist gerade bei Themen allgemeinen Interesses durchaus zufällig. Wichtiges ist vielleicht gar nicht in digitaler Form vorhanden oder wird einfach nicht gefunden. Der zweite: Die Information ist nicht verfälschungssicher. Wer Dokumente auf dem Server einer renommierten Zeitschrift vorfindet, kann sicher sein, reell bedient zu werden, doch bei dem, was alles so durch Eigeninitiative ins Netz gelangt, besteht diese Sicherheit zunächst nicht. Ein Fälscher muß allerdings damit rechnen, daß immer einer mitliest, der das Original gerade vor Augen hat. Was länger als 48 Stunden im Netz war, ohne Widerspruch zu finden, hat einen harten Test hinter sich.
"Der Skandal beginnt", so schrieb seinerzeit Karl Kraus, "wenn die Polizei ihm ein Ende macht". Ob das auch umgekehrt richtig sein kann, ist nun am Fall eines niederländischen Servers im WorldWideWeb zustudieren, dessen über 3000 Informationsangebote für viele deutsche Web-User wochenlang unzugänglich waren, weil die Bundesanwaltschaft meinte, nicht nur das Nachbarland Holland, sondern auch das weltweite Internet hätten gefälligst der deutschen Rechtsauffassung zu entsprechen.
Aber der Reihe nach. Alles begann damit, daß die stellvertretende PDS-Vorsitzende Angela Marquardt, die im Parteivorstand die Hauptabteilung "Jugendliche Aufmüpfigkeit" leitet, auf ihrer Homepage im Web (neue Adresse: http://yi.com/home/MarquardtAngela) ein Link auf die der Anarchoszene zugerechnete Zeitschrift "radikal" setzte. Für Nicht-Surfer: Ein Link ist eine Art Fußnote, die nicht nur benennt , wo man etwas nachlesen kann, sondern die man nur mit der Maus anzuklicken braucht, um den jeweiligen Text auf den Bildschirm zu bekommen - ganz egal, ob der in Frankfurt, Moskau oder Tokio auf einem Computer liegt.
Gegen "radikal" besteht in Deutschland ein Verbreitungsverbot, weil das Blatt mit Rat und Tip behilflich ist, wo es darum geht, Mollies zu basteln oder Schienen anzusägen, über die Nukleartransporte geleitet werden sollen. Frau Marquardt kennzeichnete das Link denn auch ausdrücklich als Beitrag zur Diskussion über die Zensurproblematik und stellte fest, daß sie inhaltlich mit "radikal" keinesfalls überallübereinstimme. Und "radikal" selbst residiert auf dem alternativ angehauchten Server "xs4all" (gelesen "access for all", http://www.xs4all.nl) in den Niederlanden, der wegen seines dichten Netzes auch viele kommerzielle Kunden hat.
Dann kamalles, wie es kommen mußte: Irgendjemand, der anscheinend routinemäßig die öffentlichen Ausführungen verdächtiger Elemente im Web anschaut, machte die Bundesanwaltschaft auf das provokative Link aufmerksam, und die leitete alsbald Schritte ein, die ihr angemessen erschienen. Zunächst veranlaßte sie den Provider, bei dem Frau Marquardt ihre Seite unterhält, die Seite zu sperren, dann machte sie den deutschen Providern die Hölle heiß und drohte mit den rechtlichen Folgen, die jeder gewärtigen müsse, der den Zugriff auf verbotene Literatur ermögliche. Sie ging dabei so massiv vor, daß die "Internet Content Task Force" (ICTF, eine Art "freiwillige Selbstkontrolle" deutscher Internet-Provider, http://www.anwalt.de) ihren Mitgliedern empfahl, den Zugang zu "radikal" zu unterbinden.
Derlei ist freilich leichter gesagt als getan. Das Internet ist von seinerGrundstruktur her darauf angelegt, Verbindungen zu schaffen, die nicht unterbrochen werden können, und so sahen die Providern kein anderes technisches Mittel, als Filter in den Datenstrom zu hängen, die alle Nachrichtenpakete herausfilterten, die von dem bösen holländischen Server kamen - von allen über 3000 Kunden dieses Servers. Die Betreiber des Servers konnten die Blockade zwar durch zyklischen Adressenwechsel teilweise unterlaufen - trotzdem kam es vielfach zu durchaus geschäftsschädigenden Störungen der Kommunikation der Kunden mit Partnern in Deutschland.
Das vorher nur in In-Kreisen bekannte Anarchistenblatt war von diesen Behinderungen a m wenigsten betroffen. Die internationale Netgemeinde reagiert sehr empfindlich und sehr schnell auf Versuche zu dem, was sie als "Zensur" empfindet. Zahlreiche Server in angelsächsischen und skandinavischen Ländern sowie natürlich in Holland selbst "spiegelten" das verbotene Druckwerk und machten es so unter ihren Adressen zugänglich. Noch nie war "radikal" so nachgefragt und so leicht erhältlich wie in diesen Tagen - eine Entwicklung, die den Pressesprecher der Bundesanwaltschaft so aus der Fassung brachte, daß er in einem Gespräch mit dem Spiegel den Betreiber von "xs4all" sogar mit Verhaftung bei der Einreise nach Deutschland bedrohte.
Irgendwann siegte dann schließlich doch die Vernunft, und man fand einen Kompromiß. Ende September teilte der Anbieter von "radikal" der Providervereinigung ITCF mit, er habe die böse Postille "zeitweise" vom Server genommen, die ITCF überzeugte sich davon, daß diese Aussage jedenfalls zum Zeitpunkt der Überprüfung korrekt war, die Provider nahmen guten Gewissens die Filter gegen xs4all aus dem Datenstrom und eine durch Schaden klüger gewordene Bundesanwaltschaft verzichtete offensichtlich darauf, alle 12 Stunden zu überprüfen, was wohl mit "zeitweise"gemeint sein könnte. Die inzwischen mehr als 50 "Spiegel" von "radikal", darunter der sehr interessante Anbieter "Demos online" irgendwo in Rußland, bleiben freilich weiterhin aktiv.
Leider scheint diese Entwicklung an der bekannten Internet-Expertin Claudia Nolte, nebenberuflich Familienministerin in Bonn http:/(www.governement.de /inland/ministerien /familie.html), spurlos vorbeigegangen zu sein. Gerade, als der Zusammenbruch der Blockade gegen "radikal" höchstens noch zu verschleiern, aber nicht mehr zu verhindern war, verkündete sie letzte Woche stolz, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften habe das Internetangebot des in Kanada wohnhaften Neo-Nazis Ernst Zündel (zur Problematik: http://www.almanac.bc.ca) indiziert und die Netprovider müßten nun "solche Angebote völlig aus dem Internet fernhalten oder aber technische Lösungen bereitstellen, die Kinder und Jugendliche schützen."
Womit immerhin eines sichergestellt ist: Fortsetzung folgt.
Die Klagen nehmen zu: Immer öfter fallen einem beim Öffnen des E-Mail-Briefkastens erst einmal eine Handvoll Werbesendungen entgegen, meistens mit Angeboten, wie man über Nacht reich werden kann. "Spamming" nennt die Netgemeinde das Zumüllen der Postkästen mit unverlangten Zusendungen, und ein Ehrenplatz in den Annalen dieses zweifelhaften Tätigkeitsfeldes gebührt sicherlich jenem (angeblichen) C.Becker aus (angeblich) Budapest, der kürzlich per Massen-E-Mail eine CD-ROM mit 3 Millionen e-Mail-Adressen zum Sonderpreis von DM 1200,- anbot, damit das Spamming richtig in Schwung kommt.
Natürlich kann man die Absender der Werbepost ärgern, indem man ihnen ihre Mail zurückschickt - einmal, zehnfach, hundertfach. Das klappt freilich nicht immer, und kürzlich rächte sich ein amerikanischer Spammer dadurch, daß er die Adressen von Rücksendern als Absenderangabe seiner nächsten Aussendung mißbrauchte. Es war ein Pornohändler.
Technisch ist derzeit gegen diese Seuche wenig zu unternehmen. Jeder, der das Internet benutzt, hinterläßt eine Spur von Daten, die sich mit einigem Einsatz lesen und nutzen läßt. Das Center for Democracy und Technology in den USA unterhält eine Webseite (www.13x.com), auf dem man sehen kann, welche Informationen jedesmal allein durch den bloßen Kontakt mit einem Server übermittelt werden. Wer sich an Newsgroups beteiligt, veröffentlicht damit seine E-Mail-Adresse zur weltweiten gefälligen Bedienung. In E-Mail-Verzeichnissen wie dem unter www.four11.com erreichbaren (angeblich 10 Millionen Einträge) kann man nachschlagen, ob auch die eigene Adresse schon "gefunden" und aufgenommen worden ist.
Nun gibt es viele Gründe, das Net zu benutzen, ohne jedesmal Namen und Anschrift im Klartext bekanntzugeben, und einige davon - etwa die Teilnahme an einer virtuellen Gruppe anonymer Alkoholiker - sind durchaus ehrenwert. Technisch ist Anonymität durch Einschaltung einer die Adresse abschneidenden Zwischenstelle durchaus möglich. Der bekannteste Anonymisierer für E-Mail, anon@penet.fi, mußte allerdings kürzlich den Betrieb einstellen: Die Anwälte von Scientology hatten die Herausgabe der Anschrift eines Einsenders erzwungen, der auf diesem Wege die wertvollsten Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens weltweit bekannt gemacht hatte
Es sind aber noch genug andere übrig. Wer genaueres dazu wissen will,
erfährt unter
www.cs.berkeley.edu/~raph/remailer-list.html alles wissenswerte. Und auch
die Websurfer sind nicht länger dazu verurteilt, auf jedem besuchten
Server ihre Visitenkarte zu hinterlassen. Wer sich zuerst bei www.anonymizer.com
einwählt, kann alle nachfolgenden Stationen wie unter einer Tarnkappe
besuchen - wenn er genug Geld und Geduld für deutlich längere
Verbindungszeiten mitbringt.
Doch auch die Netz-Bewohner, die auf ihren guten Namen nirgendwo verzichten wollen, können hoffen, nicht mehr ungeschützt den Angriffen der digitalen Postwurfsendungen ausgesetzt zu sein. Ein deutscher Anbieter von Internet-Dienstleistungen hat mit dem Aufbau einer "Freitag-Liste" (www.de/freitag/info.html) begonnen, auf der sich analogzur bekannten "Robinson-Liste" jeder eintragen kann, der auf Werbepost dankend verzichtet.
Auch im Web weihnachtet es sehr - allzusehr, wie mancher meint, dem schon seit September Santa Claus von jedem zweiten Server entgegengrinst. Dabei halten sich die Server in Deutschland, dem klassischen Land weihnachtlicher Besinnlichkeit, noch weitgehend zurück. Die Suche auf dem neueingerichteten europäischen Ableger von Altavista (www.altavista.telia.com) nach "Weihnachten" erbringt zwar 2000 Fundstellen, doch auf den meisten kommt das Fest eher zufällig nur als Wort vor. Andere sind so uninteressant wie die im Hochsommer gepostete Vorschau auf die Weihnachtsmärkte der Stadt Köln (http://www.gol.de/koeln/06_023.htm) oder schlicht und einfach stehengeblieben vom letzten Jahr - sicheres Indiz für eine schon wieder abgeflaute Konjunktur.
Wer den richtigen Weihnachtsrummel im Web genießen will, muß nach Amerika gehen, und wie im letzten Jahr empfiehlt sich Ed Strongs "Christmas on the Web" (http://129.81.234.19/Webfest/Xmas.htm) zum Einstieg in den offenbar immer noch expandierenden Kosmos weihnachtlichen Web-Flitters. Da gibt es Verweise zu Weihnachtsliedern, Weihnachtsmärkten, Weihnachts-Botanik (nicht alle stehen auf Fichte!), Weihnachtsgeschenken, Weihnachtsfilmen und natürlich zu vielen weiteren Webseiten mit Weihnachts-Links. Wer auf der Rundreise zur virtuellen Weihnacht sein ganzes Weihnachtsgeld ausgeben will, ist von Ed Strong herzlich eingeladen.
Christmas on the Web enthält auch einen Hinweis zum vom Jewish Communications Network bereitgestellten Hanukkah Link (www.jcn18.com/holiday/hanukkah /jcnav-hn.htm). Dort ist zwar nicht ganz so viel los wie bei Xmas und Santa Claus, der Abstecher ist aber jedermann empfohlen, dem an einem Einblick in die hierzulande fremd gewordene jüdische Welt gelegen ist. Das LicherfestHanukkah hat seinen Höhepunkt in diesem Jahr am 15. Dezember, Kerzen gibt es natürlich auch, oder Öllampen - darüber , was richtig ist, disputieren die Schriftgelehrten. Was es nicht oder nur am Rande zu geben scheint, ist Kommerz - den deckt wohl Xmas interkonfessionell ausreichend ab.
Ebenfalls Kerzen spielen eine Rolle es beim in Deutschland gänzlich unbekannten Kwanzaa-Fest (www.melanet.com/kwanzaa), das nicht zufällig am 26. Dezember seinen Höhepunkt hat. Kwanzaa ist eine Erfindung des amerikanischen Arztes Maulana Ron Karenga aus dem Jahre 1966, die schwarzen Amerikanern helfen sollte, eine eigene, schwarze und afrikanische Identität zu rekonstruieren. Das tut es mit Nachdruck: Das Fest dauert vom 12. bis 31. Dezember, und wer es richtig begehen will, muß nicht nur seinen siebenflammigen Kerzenleuchter (Kinara) und den Becher der Einheit (Kikombe cha umoja) auf einer Strohmatte (Mkeka) aufstellen, sondern die 7 Prinzipien von Kwanzaa an allen Tagen des Jahres befolgen.
Welchen Stellenwert Kwanzaa in der amerikanischen Wirklichkeit hat, ist von hier aus schwer zu beurteilen - ein Fest des Friedens scheint es allerdings trotz der Kerzen nicht zu se in. So, wie es auf Melanet dargestellt wird, stellt es dem weißen einen schwarzen Rassismus und entgegen und erklärt das Rot in der Fahne des schwarzen Nationalismus mit den Worten: "Wir haben unser Land durch Blut verloren, und wir werden es nur durch Blut wiedergewinnen. Wir müssen uns durch Blut erlösen. Ohne Blutvergießen kann es keine Erlösung dieser Rasse geben".
Die weihnachtliche Rundreise auf dem Web, so scheint es, hat jedenfalls noch mehr und anderes zu bieten als Jingle Bells, Lichterglanz und Schneeflockenromantik für den Zuckerguss auf der Konsumtorte.
Aktuell zusammengestellt:
Netgeschichten zu staatlicher Regulierung und kommerzieller Okkupation des Netzes.
Gefilterte Freiheit - wie das Netz zum "sauberen" Kanal für den Kommerz gemacht werden soll.
© für alle Texte:
Dr. Michael Charlier